Dialog

Marlene sitzt am Flughafen und wartet auf ihren Flug nach Madrid, als Jan, der schon länger neben ihr geschäftig in sein Notebook tippt und der ihr wegen seines gepflegten Äußeren schon aufgefallen war (sie findet Männer in Anzügen anziehend), sie anspricht. Marlene ist 43, Psychologin und Alleinerzieherin von zwei Jungs, Jan ist 46, Vorstand eines Energiekonzerns, verheiratet und hat ebenso zwei Kinder.

Jan: Du fliegst nach Madrid? Beruflich oder privat?

Marlene: Privat, ich besuche meinen Liebhaber! Und du?

Jan: So schön hätte ich es auch gerne, ich fliege auf ein Meeting!

Marlene: Du hättest ja Deine Sekretärin mitnehmen können!

Jan: Ich habe eine Familie!

Marlene: Du hast mich aber soeben angesprochen, wie alt sind deine Kinder?

Jan: Das Mädchen ist 7 und der Junge ist 11.

Marlene: Meine Jungs sind 11 und 13. Wer betreut deine Kinder?

Jan: Meine Frau, wer sonst? Und deine?

Marlene: Der ‚Wochenendpapa‘! Ich lebe allein mit ihnen.

Jan: Die Armen, ist ja heute wohl die Regel…Warum lebst du getrennt?

Marlene: Weil die Liebe abhanden gekommen ist, außerdem die Achtung und die Wertschätzung, weil ich mich in jemand anders verliebt habe und weil ich konsequent bin.

Jan: Du gehörst wohl zu diesen feministischen Frauen, die alles wollen, Beruf, Karriere und Kinder?

Marlene: …und Du wohl zu den Männern, die uns Frauen zurück an den Herd schicken? Weißt Du, warum die Bevölkerungszahlen in den letzten paar tausend Jahren gestiegen sind? Weil wir Frauen unterdrückt und benachteiligt waren. Frauen haben in der Geschichte einen hohen Preis bezahlt dafür, dass wir immer mehr und mehr geworden sind. Seitdem die Frauen diesen Preis nicht mehr zahlen wollen, gibt es immer weniger Kinder. Die Frau als Hausfrau und Mutter wird zunehmend zum Auslaufmodell und wollt ihr nur das eine oder das andere, werden wir aussterben! Ich möchte die Erfahrung, Kinder zu haben nicht missen, da sie eine der tiefsten und lebendigsten ist, die eine Frau machen kann. Trotzdem fällt der Regen nicht zum Himmel zurück, die Moderne hat vieles zum Guten verändert, jedoch konnte uns der Feminismus keine Antwort auf die Kinderfrage geben und das Patriarchat nur die falsche. Und mehr denn je sind wir in der Doppelrolle gefangen und managen mehr als du in deinem Konzern!

Jan: Du hättest deinen Mann nicht verlassen müssen, dann könntest du dich ganz auf deine Kinder konzentrieren.

Marlene: Das Patriachat hatte schon sehr früh in der Geschichte die Idee, die Frau als edle Wilde zwischen Kochtöpfen, Kinderpopo und Bettdecken zu verwahren und ist gescheitert. Ich gebe zu, die berühmte Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie gibt es bei Frauen kaum, ohne dass die Zunge zum Hals raushängt, anders als beim Mann. Im Zuge der Moderne arbeiten wir genauso ökonomisch wie die Männer, nur in der Freizeit quasi leben wir historisch und betreuen Kind und Haus.

Jan: Immer diese Vorurteile! Die neuen Väter sind ganz anders, ich lese meinen Töchtern jeden Abend eine Geschichte vor!

Marlene: Großartig! Was für ein Fortschritt! Mein Vater hat das nicht getan, das stimmt! Deine Frau arbeitet nicht?

Jan: Sie ist Akademikerin, aber sie hat sich für die Kinder entschieden, ich verdiene gut.

Marlene: Die wirtschaftliche Entwicklung und der Lebensstandard lässt es in vielen Fällen gar nicht mehr zu, dass nur einer arbeitet, da bist du eine Ausnahme. Außerdem wollen Frauen, die eine gute Ausbildung haben, diese auch beruflich umsetzen. Letztendlich wollen nicht nur die Frauen, sondern vor allem auch die Männer eine relative Unabhängigkeit, damit sie im Falle einer Neuentdeckung oder im Zuge einer ‚midlifekrisenbedingten‘ Selbstverwirklichung leichter das Weite suchen können. In 86% der Fälle bleiben die gemeinsamen Nachkommen bei der Frau und seinem neuen Leben steht nichts mehr im Wege, nicht einmal die Unterhaltszahlungen an die Kindsmutter, da diese zum Glück arbeitet!

Jan: Wir Männer müssen die starke Schulter zeigen! Ich würde meine Familie niemals verlassen, es ist eine Sozialgemeinschaft, die Liebe, ja, die wird natürlich weniger, aber ich kann das Familienleben ein wenig ergänzen…

Marlene: Ergänzen?

Jan: …ergänzen durch ein paar Zutaten, die das Leben süß machen…

Marlene: Deine Sekretärin?

Jan: Naja, die ist nicht mein Typ, aber…du weißt schon. Ich bringe viel Geld nach Hause, das hat seinen Preis. Und ich möchte zu Hause alles in Ordnung wissen…ich möchte heimkommen zu meinen Lieben, in mein Heim…

Marlene: Genau! Interessieren tun dich die Frauen, die unabhängig sind und Erfolg haben, weil sie Gesprächsstoff liefern. Ihr Männer habt viel erreicht, ihr habt Kriege gewonnen, Häuser gebaut, Flugzeuge entwickelt, Aktien in die Höhe getrieben, seid sogar zum Mond geflogen, ihr habt viele Siege errungen. Die Helden kehren zurück und wollen sich auf die Gartenbank zu ihrer Frau setzen und den Kindern beim Spielen zusehen. Nur die Gartenbank ist leer, die Frau beim Arbeiten und die Kinder in der Kinderbetreuung. Ein harter Schlag! Noch dazu sind wir unseren Rollen nicht gewachsen. Die heutigen Männer sind in einem anderen Rollenbild aufgewachsen, die Mutter war zu Hause.

Jan: Eben, genau so will ich es auch haben! Kinder gehören zu ihren Müttern, nicht in eine Betreuung. Ihre Entwicklung ist damit extrem gestört.

Marlene: Du willst damit sagen, dass meine Kinder gestört sind? Eine Studie hat gezeigt, dass in Hausfrauenehen der Zeitgewinn für die Kinder genau eineinhalb Stunden pro Tag ist. Ich erinnere mich nicht daran, dass meine Mutter, die daheim war, mir besonders viel Zeit gewidmet hat. Erstens waren die technischen Hilfsmittel im Haushalt nicht so modern wie heute, zweitens haben die damaligen Frauen den Haushalt als ihre Hauptaufgabe gesehen und sogar die Unterhosen gebügelt.

Jan: Und warum gehen so viele Ehen in Brüche? Weil die Frauen egoistisch sind!

Marlene: Ich gebe dir recht, es gibt zu viele, vielleicht auch leichtfertige Trennungen. Der Unterschied zu früher ist, wir haben die Wahl! Meine Großmutter und ihre Altersgenossinnen hatten keine Wahl, auch wenn das Joch noch so schlimm war.

Jan: Die Frauen nehmen den Männern nach der Scheidung die Kinder weg und die Männer sind extrem benachteiligt.

Marlene: Ich kann dir dazu sagen, Mutter ist man ewig, Vaterschaft lässt sich ablegen! Hier werden wir in die Historie zurückgeworfen. Väter verfügen nach der Trennung frei über ihre Zeit, sie sehen die Kinder jedes zweite Wochenende in der Regel. Die Familienflucht wird immer noch als Kavaliersdelikt gesehen. Es gibt genügend Raum für ein anderes, neues Leben. Übrigens verbringen Väter weniger Zeit zu Hause als Partner ohne Kinder! Gibt die das nicht zu denken? Nur weil sie mehr verdienen müssen? Was bleibt der Frau an zeitlichem Fenster für ein neues Leben?

Jan: Natürlich muss ich viel arbeiten, um das ganze schöne Leben zu finanzieren. Es gibt ja eine eindeutige Rollenverteilung!

Marlene: Eindeutig für dich! Soll ich mit deiner Frau darüber reden? Du redest über den sogenannten starken Mann, ich erzähle dir aus meiner Erfahrung! Es gibt den starken Mann nicht, ich habe lange gesucht. Männer lassen Frauen in Stich, mehr denn je, Männer suchen sich ein neues Nest und sind mehr mit ihrem Selbstmitleid beschäftigt als mit den Schulaufgaben ihrer Kinder, ihren Sorgen und Nöten. Männer bleiben in der Ehe, weil es bequemer ist. Männer stehen viel weniger zu dem, was sie denken und fühlen, Frauen sind in der Regel diejenigen, die alles aufrechterhalten. Das war schon immer so, in der Kriegsgeneration waren die Frauen allein und die Männer eingerückt. Danach waren sie gefallen oder kümmerten sich um den wirtschaftlichen Aufbau. Auch heute gibt unglaublich viel Verunsicherung und Verlustängste und wieder sind es die Frauen, die in einer leider viel zu vaterlosen Gesellschaft die Kinder zum Erwachsenen begleiten.

Jan: Ich weiß nicht, es ist wohl eher so, dass es ein Geschlechterchaos gibt, die Rollen sind nicht genau definiert. Die Männer haben oft keine Chance, mehr an der Kinderbetreuung beizusteuern. Welcher verantwortungsvolle Job lässt sich schon am frühen Nachmittag aus der Hand legen? Welcher Arbeitgeber toleriert eine Karenz des Mannes?

Marlene: In Finnland funktioniert es. Da stehen Männer wie Frauen bei einer Sitzung um 16 Uhr auf und holen ihre Kinder ab, bei uns nur die Frauen. 80% der Frauen arbeiten Teilzeit, welche Karriere ist dann noch möglich? Abgesehen, dass diese Kinderbetreuungszeit die Pensionshöhe senkt und nach einer Scheidung nichts davon retour kommt, während Männer voll berufstätig bleiben und keinerlei Einbußen durch Nachwuchs haben.

Jan: Männer verdienen vielfach mehr, deshalb ist es sinnvoll, wenn Frauen daheim bleiben.

Marlene: Und warum? Weil sie besser sind?

Jan: Sei nicht ungerecht, ihr habt schon so viel erreicht, vor einigen Jahrzehnten wäre es undenkbar gewesen, dass eine Frau ein Flugzeug fliegt oder andere hochqualifizierte Berufe ausübt. Ich sehe die Gefahr, dass die Menschheit aussterben wird, denn es sind doch die Frauen, die uns erhalten.

Marlene: Du hast recht, vieles hat sich verbessert, vieles wird halt schön geredet. Ich glaube einfach, dass Frauen mehr kämpfen um dasselbe wie ein Mann zu erreichen. Ich habe ständig schlechtes Gewissen zu wenig Zeit für die Jungs zu haben, ein Gefühl was ihrem Vater fremd ist. Es gibt wohl sowas wie eine biologische Bestimmung.

Jan: Ich mache mir Sorgen, ob die Generation nach uns noch Kinder haben wird?

Marlene: Ja, wir kennen beides, das alte und das neue Rollenbild und versuchen einen Spagat dazwischen zu schaffen, ich sehe, neue Frauen sind nicht mehr bereit dazu. Lieber Jan, Du musst noch viel lernen, unser Flieger wurde aufgerufen…

Jan: Auch du, du gehst zu hart mit uns ‚Weichlingen‘ um!

Marlene: …was mich nicht davor schützt, euch zu lieben…! Leb wohl!

Jan: Ach ja, viel Spaß…!

ka 2012

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