Rosa

Rosa ist eine zierliche, nicht besonders große, knapp über dreißigjährige Frau, aus der ersten Ehe geflohen, die schließlich ein zweites Mal geheiratet und zwei Söhne geboren hat. Sie scheint eine sehr mutige Frau mit vielen Plänen zu sein, die sich nur schwer aus gesellschaftlichen Zwängen befreien kann und ein Leben lebt, wie es sich gehört. Sie ist grade dabei, in ihr Berufsleben nach der Geburt der beiden Jungs wieder einzusteigen und beginnt zwischen Pflichtbewusstsein und schlechten Gewissen, zwischen Beruf und Kinderzeit, den unmöglichen Spagat zu schaffen. Ein weiteres Lebensziel scheint erreicht zu sein, ein selbst gestaltetes Designerhaus wird bezogen. Seit einiger Zeit beginnen die Vorwürfe ihres Mannes, sich finanziell übernommen zu haben und die Schulden seien nicht mehr überschaubar. Er macht überwiegend sie und ihren Übermut dafür verantwortlich, die Entfremdung, der Verlust der Achtsamkeit beginnt schleichend. Sie lernt Johannes kennen, ein ebenso verheirateter Mann, eine Begegnung, die bahnbrechend im Leben beider sein wird. Rosa ist attraktiv, oberflächlich betrachtet auch selbstbewusst und scheint ihren Alltag im Griff zu haben. Was wie eine Affäre beginnt, endet in der Liebe ihres Lebens, oder zumindest in der Utopie davon. Das Sexualleben von Rosa beginnt exzentrisch, begehrend und sinnlich zu werden. Sie lernt sich lieben, so wie sie mit ihm sein kann. Sie lernt den echten Schmerz kennen, spätestens als sie ohne ihn sein muss. Sie verliert ihre Ich-Identität, zerrissen zwischen zwei Männern, die beide in egoistischer Weise ihren Weg gehen und Rosa aufgerieben in Selbstzweifel, Schuldgefühlen, dem Unfassbaren und Einsamkeit zurücklassen. Rosa konnte sich aus ihrem patriarchalischen Leben befreien, beinahe wäre sie in dieselbe Falle getappt wie ihre Mutter. Sie lernte mit fünfzehneinhalb einen zehn Jahre älteren Mann kennen, irgendwie verengte sich ihre Wahrnehmung auf diesen Verführer, der ein Blender, ein Aufschneider, ein Frauenheld in ländlicher Umgebung war. Unbedingt wollte dieses Mädchen Rosa diesem Mann gefallen und genügen, ihr erstes Mal passierte mit ihm, noch heute erinnert sie sich an das Gefühl, am Friedhof zu stehen nach diesem sexuellen Akt, es war Allerheiligen und Großmutter wollte alle am Grab versammelt sehen, nun kam die Schuld, spürbar zwischen den Beinen, der Teufel zieht Rosa beinahe in die Hölle, so unrein wie sie war, oder doch geschwängert vielleicht? Auch die Blicke des Vaters bei späteren Abenden der Heimkehr aus seinem Bett durchbohrten Rosas Körper und bestärkte das Gefühl des Unrechten, beim Vorbeischleichen an den fernsehenden Vater in das winzige angrenzende Kinderzimmer. Das Rad der Einfältigkeit, der Versuch, viel erwachsener zu sein, als es in diesem Alter möglich wäre, beginnt mit unerschütterlicher Beharrlichkeit. Das verträumte, traurige Mädchen wird zur Frau, Schritt für Schritt, lehrt das Leben sie, was es heißt, kein Kind mehr zu sein, einzutreten in eine Welt der Sorgen, Verpflichtungen und Zukunftsplänen, abgestimmt auf einen Mann, dessen Sprache eine andere ist. Bald flüchtet sie aus der elterlichen räumlichen Enge und zieht mit ihm zusammen, sie geht ins Gymnasium und führt im Gegensatz zu ihren Freundinnen einen Haushalt…

ka 2012

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